Wahlprüfstein

Am 27. März 2022 sind im Saarland Landtagswahlen. Der neu gewählte Landtag wird bezüglich der von der Stadt St. Ingbert geplanten Abholzungen im Schmelzerwald möglicherweise eine Entscheidung zu treffen haben, nämlich über den Verkauf dieser im Eigentum des Landes stehenden Fläche (Staatsforst) an die Stadt St. Ingbert. Für die Wählerinnen und Wähler in St. Ingbert ist es wichtig zu wissen, wie sich die künftigen Landtagsabgeordneten in dieser Frage positionieren werden. Daher hat die Bürgerinitiative „Rettet den Schmelzerwald“ an insgesamt 31 Landtagskandidatinnen und Landtagskandidaten den nachstehenden Wahlprüfstein mit der Bitte um Beantwortung der dort gestellten Frage geschickt.

Nachdem die Frist zur Stellungnahme zu dem Wahlprüfstein am 02.03.2022 abgelaufen ist, können Sie hier die Antworten einsehen:

Sehr geehrte/r Frau/Herr,

bei der Landtagswahl am 27. März 2022 stehen Sie im Wahlkreis Neunkirchen auf der Liste der [Partei…]

Möglicherweise wird der Landtag des Saarlandes in der nächsten Legislaturperiode zu einem Vorhaben der Stadt St. Ingbert betreffend den Schmelzerwald eine Entscheidung zu treffen haben. Denn die Stadt beabsichtigt, im Rahmen ihres Wohnraum-Entwicklungskonzepts „Grünes und lebendiges St. Ingbert“ 1,6 Hektar des Schmelzerwaldes abzuholzen, um aus dieser Fläche Bauplätze zu machen. Der Schmelzerwald ist Staatsforst, d.h. er steht im Eigentum des Landes. Die Veräußerung der 1,6 Hektar an die Stadt St. Ingbert bedarf gemäß § 64 Absatz 2 der Haushaltsordnung des Saarlandes der Zustimmung des Landtags.

Die geplante Vernichtung dieser Waldfläche stößt bei vielen Bürgerinnen und Bürgern in St. Ingbert auf entschiedene Ablehnung. Sie sind empört darüber, dass ein eminent wichtiges und in der Bevölkerung hoch geschätztes Naherholungsgebiet nachhaltig beschädigt werden soll. Tag für Tag suchen viele Menschen in dieser siedlungsnahen grünen Oase Entspannung und Erholung. Das betrifft vor allem viele ältere und in ihrer Beweglichkeit eingeschränkte Menschen, für die der Schmelzerwald mit seinen ebenen Wegen eine geradezu ideale Erholungsmöglichkeit bietet. Hand anzulegen an den kostbaren Schmelzerwald – das ist ein fatales Signal gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern unserer Stadt und offenbart eine Geringschätzung ihrer berechtigten Interessen.

Mehr als 3000 Bürgerinnen und Bürger haben inzwischen mit ihrer Unterschrift gegen die Pläne der Stadtverwaltung protestiert. Im Einzelnen sind die sachlichen Gründe, die einer Zerstörung dieser Waldfläche entgegenstehen, in der als Anlage beigefügten Aufzeichnung dargestellt.

Oberbürgermeister Ulli Meyer hat gegenüber unserer Bürgerinitiative keine Bereitschaft erkennen lassen, seine Abholzungspläne im Schmelzerwald aufzugeben. Es ist daher nicht ausgeschlossen, dass die Stadt St. Ingbert zwecks Eigentumserwerbs an die Landesregierung herantritt und in letzter Instanz auch der Landtag mit der Entscheidung befasst wird.

Wir befragen daher die Spitzenkandidatinnen und -kandidaten der zur Landtagswahl antretenden Parteien zu ihrer Position in dieser Sache und wären Ihnen für die Beantwortung folgender Frage dankbar:

Würden Sie als Mitglied des Landtags dem Verkauf von 1,6 Hektar des Schmelzerwaldes an die Stadt St. Ingbert zum Zweck der Verwendung dieser Waldfläche für Bauplätze zustimmen?

Bitte leiten Sie uns Ihre Antwort bis spätestens 2. März 2022 zu, und zwar entweder an die E-Mail-Adresse kontakt@rettetdenschmelzerwald.de oder an die Postanschrift der Unterzeichneten Joma Fischer. Die Antworten werden wir auf unserer Website rettetdenschmelzerwald.de veröffentlichen.

St. Ingbert, 7. Februar 2022
Für die Bürgerinitiative: Joma Fischer und Gerd Schweitzer

Warum Abholzungen für Bauplätze im Schmelzerwald unverantwortlich sind

1. Landschaftsschutzgebiet und Grundwasser-Vorranggebiet

Der Schmelzerwald ist Landschaftsschutzgebiet und damit in seiner ökologischen Bedeutung hervorgehoben. Außerdem ist dieses Gebiet im Landesentwicklungsplan als Vorranggebiet für Grundwasserschutz ausgewiesen. Vorranggebiete für Grundwasserschutz dürfen für Siedlungszwecke nicht in Anspruch genommen werden.

2. Besonderer Schutz des Schmelzerwaldes im Landschaftsplan der Stadt St. Ingbert

In dem von der Stadt St.Ingbert bei einem renommierten Saarbrücker Planungsbüro (agl Hartz/Saad/Wendl – Landschafts-, Stadt- und Raumplanung) in Auftrag gegebenen und am 30. November 2020 vorgelegten Landschaftsplan für die Stadt St. Ingbert wird nachdrücklich empfohlen, den Schmelzerwald, den Gehnbachwald, das Waldgebiet „Die Au“ und den Gebrannten Wald wegen ihrer Siedlungsnähe und ihres großen Erholungswertes zu sog. Klimakomfortwäldern zu entwickeln. Das schließt jeden schädigenden Eingriff in diese Waldgebiete aus. Folgerichtig sind die genannten Waldgebiete in dem auf der Website der Stadt St. Ingbert veröffentlichten Landschaftsplan nicht als potenzielle Baugebiete ausgewiesen. In dem von Oberbürgermeister Ulli Meyer in Zusammenarbeit mit der Forstverwaltung im Mai 2021 vorgelegten Zwölf-Punkte-Plan „Multitalent Wald“ werden der Stadtwald und seine Entwicklung zum Klimakomfortwald ausdrücklich erwähnt. An Oberbürgermeister Meyer ist die Frage zu richten, warum er mit den im Schmelzerwald geplanten Abholzungen gegen diese selbstgesetzten Vorgaben verstößt.

3. Abholzungen im Schmelzerwald im Widerspruch zu den eigenen Handlungsmaximen

Vor allem aber stehen die Pläne der Stadt St. Ingbert zu den Abholzungen im Schmelzerwald in eklatantem Widerspruch zu grundlegenden Aussagen in ihrem eigenen Wohnraum-Entwicklungskonzept „Grünes und lebendiges St. Ingbert“. Darin heißt es unter anderem, dass ausgewiesene, großzügige Grünflächen geschützt und aus den Bebauungsplänen ausgeschlossen werden. In dem Bericht des offiziellen Mitteilungsblatts der Stadt St. Ingbert „Die Rundschau“ vom 13. April 2021 über das Wohnraum-Entwicklungskonzept wird Martin Ruck, der Leiter des Geschäftsbereichs Stadtentwicklung und Umwelt der Stadt St. Ingbert, wie folgt zitiert: „Die Bebauung solcher Grünflächen sowie die Flächenerschließung im Außenbereich ist in St. Ingbert als Biosphärenstadt sowohl aus ökologischen als auch aus demografischen Gründen nicht mehr zu vertreten.“ Dem gleichen Artikel zufolge spricht sich auch Oberbürgermeister Ulli Meyer dafür aus, bestehende Grünflächen zu belassen, und er wird in diesem Zusammenhang wie folgt zitiert: „In der Pandemie hat sich besonders gezeigt, wie wichtig es ist, freie Grünflächen in nächster Wohnnähe zu haben.“

Was für Grünflächen gilt, das muss erst recht für den Wald gelten. Doch ist vom Wald, insbesondere vom Schmelzerwald in dem Wohnraum-Entwicklungskonzept keine Rede. Er wird von der Stadt auf geradezu zynische Weise beschwiegen, wenn es laut Bericht des offiziellen Mitteilungsblatts „Die Rundschau“ in dem Wohnraum-Entwicklungskonzept unter „Beispiele für Arrondierungsprojekte“ heißt: „Auch könnte die Infrastruktur der einseitig bebauten Straße Zum Stiefel genutzt werden, um auf der zweiten Seite bis zu 18 Wohneinheiten zu schaffen.“ Kein Wort verliert Oberbürgermeister Meyer also über die damit verbundene Vernichtung von 1,6 Hektar des Schmelzerwaldes.

4. Baulücken als vorrangig zu aktivierendes Bauflächenpotenzial

Auf unsere Anfrage an die Stadtverwaltung in der Bürgerfragestunde der Stadtratssitzung am 12. Oktober 2021 hat uns die Stadt mitgeteilt, dass es in St. Ingbert derzeit 575 Baulücken gibt. Davon sind 569 in privater Hand und sechs im Eigentum der Stadt St. Ingbert. Bei den Baulücken handelt es sich nach den Angaben der Stadt um Grundstücke, die aus städtebaulicher Sicht bebaubar sind. Es wäre Aufgabe des Oberbürgermeisters und seiner Stadtverwaltung, bei diesen Grundstückseigentümern dafür zu werben, dass sie ihr Grundstück am Markt anbieten. Eine solche Werbung ist bei uneingeschränkter Wahrung der Belange des Datenschutzes ohne weiteres möglich. Erforderlich ist nur, dass der Oberbürgermeister diese Werbung mit Engagement, Beharrlichkeit und Einfallsreichtum endlich in Angriff nimmt. Welches Potenzial hier aktiviert werden kann, zeigt der Vergleich, über den Manfred Schetting in seinem Artikel „So steht es um Baulücken in St. Ingbert“ in der Saarbrücker Zeitung vom 16. November 2021 berichtet: Gab es Ende 2010 in St. Ingbert noch 789 Baulücken, so zeigt sich an der oben wiedergegeben aktuellen Zahl 575, dass bei zahlreichen Grundstückseigentümern entgegen den Verlautbarungen aus dem Rathaus sehr wohl Verkaufsbereitschaft besteht.

5. Weitere Potenzialflächen im Wohnraum-Entwicklungskonzept der Stadt St. Ingbert

Das von der Stadt. St. Ingbert vorgelegte Wohnraum-Entwicklungskonzept „Grünes und lebendiges St. Ingbert“ stellt weitere­ potenzielle Wohnraum-Entwicklungsflächen dar. Die Liste umfasst für das gesamte Gebiet der Stadt St. Ingbert 23 potenzielle Wohnraum-Entwicklungsflächen – darunter die Fläche im Schmelzerwald – mit insgesamt 867 Wohneinheiten. Zu diesen Flächen heißt es in dem Wohnraum-Entwicklungskonzept: „Sie werden weiter geprüft.“ Doch selbst wenn die Prüfung ergeben sollte, dass am Ende von diesen 23 Flächen einige nicht oder nur mit einer geringeren Zahl von Wohneinheiten zum Tragen kommen und es sich dabei – hoch gegriffen – vielleicht um 200 nicht zu realisierende Wohneinheiten handelt, dann bleibt mit 667 Wohneinheiten immer noch eine große Zahl von Wohneinheiten möglich. Vor dem Hintergrund dieser Zahlen wird vollends deutlich, dass bei strikter Beachtung der Belange des Natur-, Umwelt- und Klimaschutzes die Vernichtung von 1,6 Hektar des Schmelzerwaldes nicht zu verantworten ist.

6. Waldvernichtung in der Biosphärenstadt St. Ingbert

Oberbürgermeister Ulli Meyer lässt keine Gelegenheit aus, die Stadt St. Ingbert als „Biosphärenstadt“ und als „Tor zur Biosphärenregion“ hervorzuheben. Auf den offiziellen Briefbögen der Stadtverwaltung wird auf die Zugehörigkeit der Stadt zu dem Biosphärenreservat Bliesgau hingewiesen. Die mit dem konsequenten Natur-, Arten- und Klimaschutz verbundene Zielsetzung eines Biosphärenreservates thematisiert vor allem die Interaktion zwischen Mensch und Natur. Es geht um den Beitrag des Menschen zur Gewährleistung der natürlichen Grundlagen menschlichen Lebens und seine sich daran orientierenden Bedürfnisse. Eine Stadtverwaltung und ein Stadtrat, die sich kurzer Hand beim Wald bedienen, wenn es um Bauplätze geht, verstoßen fundamental gegen die Prinzipien, auf denen die Anerkennung des Bliesgaus als Biosphärenreservat durch die UNESCO beruht. Vor diesem Hintergrund ist es zumindest unverfroren, wenn nicht gar zynisch, die im Schmelzerwald geplante Waldvernichtung in einem Wohnraum-Entwicklungskonzept mit Namen „Grünes (!) und lebendiges St. Ingbert“ zu verstecken.

7. Oberbürgermeister und Umweltminister beim Bäumchenpflanzen im Schmelzerwald

Noch am 22. Mai 2021 war die Bedeutung des Schmelzerwaldes von höchster Stelle hervorgehoben worden. An diesem Internationalen Tag der biologischen Vielfalt haben Oberbürgermeister Ulli Meyer und der saarländische Umweltminister Reinhold Jost zusammen mit der Ortsratsvorsitzenden Irene Kaiser, der Stadträtin Dunja Sauer, dem Revierförster Michael Weber und dem Beauftragten für Nachhaltigkeit Adam Schmitt im Schmelzer Wald zwei Bäumchen gepflanzt. Hierbei wies Umweltminister Jost dem Bericht des Mitteilungsblatts „Die Rundschau“ vom Mai 2021 zufolge auf den im Ländervergleich hohen Anteil des Laubwaldes an der gesamten Waldfläche im Saarland hin. Zu dem erfreulichen Zustand der Wälder im Saarland wird der Umweltminister in dem Bericht wie folgt wiedergegeben : „Grund dafür ist das Zusammenspiel der etwa 50 Baumarten und Hölzer hier im Wald, die diesen durch ihren Artenreichtum stabil halten, Flora und Fauna Schutz bieten und Wasser die Möglichkeit hat, im Wald zu versickern und so eine Basis für zusätzliches Grundwasser zu liefern, was wiederum der Bevölkerung zu Gute kommt.“

Bei dieser Bäumchen-Pflanzaktion hat Oberbürgermeister Meyer erklärt: „Es gelte, insbesondere vor dem Hintergrund der Zugehörigkeit zur Biosphäre, Nachhaltigkeit im Wald zu leben“ und „die nun gepflanzten Wildobstbäume hätten eine wichtige ökologische Funktion.“

Am Tag dieser Pflanzaktion lag das Wohnraum-Entwicklungskonzept „Grünes und lebendiges St. Ingbert“ bereits ausgearbeitet vor. Am 14. September 2021 hatten drei Vertreter unserer Bürgerinitiative ein Gespräch mit Oberbürgermeister Ulli Meyer und einigen seiner Mitarbeiter. Von den Vertretern der Bürgerinitiative wurde der Oberbürgermeister gefragt, ob er damals bei der Pflanzaktion den Umweltminister darüber unterrichtet habe, dass ein Wohnraum-Entwicklungskonzept ausgearbeitet vorliege und dass darin u.a. die Schaffung von Bauplätzen durch Abholzungen im Schmelzerwald vorgesehen sei. Ulli Meyer hat auf unsere Frage, obwohl wir sie zweimal wiederholt haben, in der Sache keine Antwort gegeben.